Geschichte

Eine Zeitreise in die Erdgeschichte

200.000 Jahre im Boden verborgen: Dieser Granitfindling aus Skandinavien trat beim Ausschieben der neuen Teiche zutage. Foto: Albrecht
200.000 Jahre im Boden verborgen: Dieser Granitfindling aus Skandinavien trat beim Ausschieben der neuen Teiche zutage. Foto: Albrecht

Der geologische Untergrund der Rieselfelder wurde durch die Eiszeiten geprägt. Der höher gelegene, größte und zentrale Teil der Flächen liegt auf einer Grundmoräne der Saale-Eiszeit (Drenthe-Stadium), die vor über 200.000 Jahren vom großen Emslandgletscher abgelagert und zu einem schildförmigen Geländerücken geformt wurde (sog. Drum). Derartige Drumlins stellen eine geologische Besonderheit dar und wurden nur aus wenigen Gegenden beschrieben. Sie kommen jedoch im Bereich des sog. "Friedrichsdorfer Drumlinfeldes" häufiger vor und markieren den Weg der Gletscherzunge, der aus der Ebene kommend gegen den Hang des Teutoburger Waldes anschieben musste. Durch die jahrtausendelange Abtragung haben die Drumlins ihre ursprüngliche Höhe allerdings längst eingebüßt und sind heute nicht immer leicht erkennbar.

 

Die Grundmoräne besteht aus tonigen und schluffigen Sanden sowie grauem Mergel und eingestreutem "Geschiebe". So werden mehr oder weniger große Gesteinsbrocken bezeichnet, die der Gletscher auf seinem weiten Weg aus Skandinavien und dem Bogen über das Emsland aufgenommen hat. Je nach Herkunft können dies Granite, Gneise, Feuersteine oder auch Kalksteine sein. Die größten Brocken sind die bekannten Findlinge, die auf der weiten Reise rund geschliffen wurden und viele Hofeinfahrten in der Senne zieren. Auch vor der Biologischen Station sind einige Findlinge der Umgebung versammelt, die beiden größten wurden aber im Gebiet belassen und sind vom Rundweg aus zu sehen.

 

Um den zentralen Schildrücken herum haben sich stärker sandige Grundmoränen des rund 50.000 Jahre jüngeren Warthe-Stadiums der Saale-Eiszeit abgelagert. Außerdem finden sich in den Niederungen entlang des Reiherbaches jüngere Sandablagerungen aus der Weichsel-Kaltzeit (vor 70.000 Jahren), in der das Eis unseren Raum nicht mehr erreichte, sowie nach-eiszeitliche Bachablagerungen und Torfschichten aus den letzten 10.000 Jahren.

 

Aus diesem Untergrund bildeten sich im Lauf der Jahrtausende unsere Böden, die somit zumeist sandig bis lehmig sind und kleinräumig wechseln. Die neu angelegten Teiche mussten daher teilweise mit eingebrachtem Bodenmaterial abgedichtet werden. Es entstammt dem Bau der Uni-Linie der Bielefelder U-Bahn und wurde dort im mittleren bis oberen Keuper vor 200 bis 185 Millionen Jahren abgelagert.

Ein Blick über 170 Jahre Landschaftsgeschichte

Die Rieselfelder Windel 1994 vor ihrer Neugestaltung. In der Bildmitte der ehemalige Hof Ortmann, heute Biostation und Infozentrum.
Die Rieselfelder Windel 1994 vor ihrer Neugestaltung. In der Bildmitte der ehemalige Hof Ortmann, heute Biostation und Infozentrum.

Das Urmesstischblatt aus dem Jahr 1837 bildet die bäuerliche Nutzung der späteren Rieselfelder flächengetreu ab. Weit im Raum verteilt liegen einzelne Höfe: Am und nördlich des Reiherbaches die Höfe Scherpel (später Windel), Toppmann (jetzt Friebe) und Wächter (jetzt Depenbrock), südlich die Höfe Ortmann (jetzt Biostation) und Brinkmann (jetzt Privathaus), östlich der späteren Buschkampstraße Hansmeier (heute verschwunden). Es dominiert der Ackerbau, und viele Äcker sind von Hecken gesäumt, die das Weidevieh von den Feldfrüchten fernhalten sollen. Denn vor allem südlich der heutigen Niederheide sind große Bereiche als Heide dargestellt, in der das Vieh frei weiden konnte. Die Flurbezeichnungen und Straßennamen Dopheide, Postheide und Niederheide erinnern noch an diese alte Nutzungsart. Grünland für die Heuwerbung gibt es nur in unmittelbarer Bachnähe entlang des Strothbaches (heute Reiherbach) und des Toppmannsbaches. Kleine Wäldchen liegen zwischen den beiden Bächen weitgehend dort, wo auch heute noch Wald angetroffen wird. Auffällig sind die vielen Stillgewässer, z.T. entlang der Bäche (Stauteiche, vielleicht auch Flachsteiche), z.T. auf den hoch gelegenen Heideflächen (Heideweiher und -kolke).

 

Im Kartenbild des Messtischblattes von 1895 sind die meisten ehemaligen Heideflächen als Wald verzeichnet, Acker- und Grünlandflächen haben sich dagegen kaum verändert. 1938 sind sämtliche Flächen der späteren Rieselfelder als Acker dargestellt, und erst die Kartenausgabe von 1955 zeigt in großem Umfang zusätzliches Grünland und die Be- und Entwässerungsgräben der Rieselfelder sowie die beiden vergrößerten Klärteiche.

 

Zunächst beschränkten sich diese Rieselflächen auf die Niederung zwischen Reiher- und Toppmannsbach sowie auf die Hanglage südlich der Niederheide bis zur 110-m-Höhenlinie, die im freien Gefälle über entspr. Zuleitungskanäle beschickt werden konnten. Erst ab der Kartenausgabe 1987 sind auch die weiter südlich verlegten Kanäle erkennbar, die über eine Pumpleitung etwa von der Wilhelmsdorfer Straße aus mit dem Rieselwasser versorgt wurden und die Buschkampstraße unterdükerten.

 

Das Grünland der Rieselfelder wurde anfangs beweidet und war dadurch für Weide- und Wiesenvögel besonders interessant. In den 80er Jahren wurde die Beweidung eingestellt, und die Wiesen gemäht bzw. gemulcht. Dadurch hat sich auch ihre Eignung für Watvögel verschlechtert.

 

Die deutlichste Veränderung des Landschaftsbildes brachte sicherlich die Umgestaltung Ende der 90er Jahre durch die Stiftung Rieselfelder Windel. Die umfangreichen Bodenbewegungen, die Neuanlage tlw. abgedichteter Teiche und Blänken, die Entwicklung zusätzlicher Röhricht- und Brachflächen sowie die extensive Grünlandnutzung prägen heute das Bild der ehemaligen Rieselfelder westlich der Buschkampstraße, während die östlichen Flächen wieder überwiegend als Acker bewirtschaftet werden.

Industriegeschichte der Rieselfelder Windel

1. Scherpels Bleiche (1832–1852)

 

Das Naturreservat "Rieselfelder Windel" hat sich an einem der ältesten Firmenstandorte Bielefelds in einer langen Entstehungsgeschichte entwickelt, die ihren Ausgang 1832 in der Leinenbleiche des Bauers Heinrich Christoph Scherpel auf den Reiherbachwiesen (damaliger Name Strothbach, auch Ramsbach genannt) nahm.

 

Der direkt am Reiherbach ("vorzügliche Wasserverhältnisse") gelegene Hof Scherpel (später: Hof Windel) war damals mit 406 Morgen der zweitgrößte Hof der Bauerschaft Senne I. Scherpel baute die Wassermühle zur Seifmühle aus, planierte mit Dünensand eine 12 Morgen (ca. 3 ha) große Fläche und baute dort neben einem Wohnhaus 3 Waschhäuser, Klopf-, Koch- und Waschschuppen. Der Bleichplan war mit Gräben durchzogen, die ihr Wasser aus dem Reiherbach erhielten.

 

Die Leinenstücke wurden zunächst mit Aschenlauge gekocht, eingeseift, auf dem Bleichplan ausgelegt (dem Sonnenlicht ausgesetzt und dabei ständig mit dem Wasser des Reiherbaches feucht gehalten), mit saurer Milch (später mit Vitriol) behandelt (gesäuert) und zuletzt im Bachwasser gespült (ob dies danach immer noch "vorzüglich" war?). Die Arbeitsgänge wurden je nach Witterung und dem gewünschten Weißegrad wiederholt. Neben Hausleinen wurde zunehmend auch feineres Leinen von Bielefelder Kaufleuten gebleicht. Zuletzt arbeiteten ca. 20 Saisonarbeiter in der Bleiche (etwa von März bis November).

 

Parallel gründete und betrieb der offenbar geschäftstüchtige Bauer Scherpel übrigens unweit der Bleiche ein Heilbad (mit Gastwirtschaft) gegen Rheuma, Gicht und Ischiasleiden, dessen Quellwasser auf der Bleiche erwärmt und in Wannen und Bottichen zu Wasser-, Schlamm- und Schwefelbädern verabreicht wurde. Der Schlamm wurde dem nahe gelegenen Teich sowie Moorstellen der Umgebung entnommen. Das Bad wurde bis 1872 betrieben, die Quelle ist heute zugeschüttet und von Betriebsgebäuden überbaut.

Entnommen aus: H. Schmidt: Hundert Jahre Arbeit – Hermann Windel GmbH Windelsbleiche. Bielefeld 1933.
Entnommen aus: H. Schmidt: Hundert Jahre Arbeit – Hermann Windel GmbH Windelsbleiche. Bielefeld 1933.

2. Kiskers Bleiche (1852–1872)

Leinen auf Bleichpfählen. Entnommen aus: H. Schmidt: Hundert Jahre Arbeit – Hermann Windel GmbH Windelsbleiche. Bielefeld 1933.
Leinen auf Bleichpfählen. Entnommen aus: H. Schmidt: Hundert Jahre Arbeit – Hermann Windel GmbH Windelsbleiche. Bielefeld 1933.

 

Die Bleiche wurde 1851 vom Bielefelder Fabrikanten und Leinenhändler A.W. Kisker aufgekauft, auf ca. 36 Morgen vergrößert und zum Bleichen eigener Erzeugnisse (Leinen und Damast der Weberei Kisker) sowie Stoffe fremder Kunden in Lohnarbeit genutzt. Hinzu kam eine Garnbleiche (1865 wurden bereits 60 Tonnen Garn veredelt) und eine Dampfanlage mit Dampfmaschine. Zwei Fabrikgebäude bildeten jetzt die Bleiche. Kisker setzte auch erstmals Chlor zur Verbesserung des Bleichegrades ein.

 

3. Windels Bleiche (seit 1872)

Luftaufnahme der Firma Windel
Luftaufnahme der Firma Windel

Im Dezember 1872 übernahm Hermann Windel die Bleiche für 37.500 Taler. Er entstammte einer traditionsreichen Färberfamilie aus Rahden, die bereits seit 100 Jahren in Bielefeld Färbereien und Appreturanstalten betrieb. Die "Bleicherei und Appreturanstalt Hermann Windel, Brackwede" entwickelte sich nach den Kriegsjahren 1870/71 sehr lebhaft.

 

1894 starb Hermann Windel, sein ältester Sohn Gustav Windel übernahm die Betriebsleitung 1896. Er führte mit der "Winterbleiche" den Dauerbetrieb ein und erweiterte ihn u.a. durch Aufnahme der Baumwollbleiche und -veredelung im Jahr 1902. Nach und nach wurden die ehemaligen Bleichwiesen mit Betriebsgebäuden überbaut.

 

Allerdings reichte die Wasserführung des Reiherbaches für den vergrößerten Betrieb bald nicht mehr aus, sodass ab 1903 zusätzlich mehrere Brunnen gebaut wurden. Wasserwirtschaftliche Gründe (Sicherung zusätzlicher Brunnen, aber auch Klagen von Unterliegern wegen der Bachverschmutzung) führten 1905 zum Kauf des Hofes Scherpel, ab 1928 weiterer Nachbarhöfe.

 

Im 1. Weltkrieg wurde neben einer modernen Färberei (1917) auch eine maschinelle Flachsaufbereitung (zur Begegnung des Rohstoffmangels) sowie eine Ölpresse errichtet, deren beider Betrieb aber 1926 wieder eingestellt wurde. Im gleichen Jahr entstand der Windelsche Wasserturm zur Sicherstellung der Wasserversorgung. Der Turm, Bestandteil des Stiftungslogos, wurde zum Wahrzeichen für den Bielefelder Süden und ist heute Industriedenkmal mit dem unverändert ursprünglichen Nutzungszweck. In den 30er Jahren kamen Kunstseidenausrüstung, Sanforisierung und Gewebedruck hinzu.

 

1938 richtete die Firma Windel zur Reinigung ihrer Abwässer aus der Textilverarbeitung Rieselfelder ein: Grünlandflächen, auf denen Abwasser verrieselt, versickert, in Drainagen wieder aufgefangen und nach dieser Bodenpassage in den Reiherbach eingeleitet wurde ("Abwasserlandbehandlung"). Dazu wurden die ehem. landwirtschaftlichen Flächen der Höfe Scherpel (heute: Windel), Brinkmann (später: Lohmann), Ortmann (heute: Informationszentrum und Biologische Station) sowie Toppmann übernommen und umgestaltet. Zeitweilig nahmen die Rieselfelder über 100 ha Fläche ein und umfassten auch große Bereiche östlich der Buschkampstraße.

 

Mit dem Aufkommen der Synthetikfasern in den 50er Jahren erreichte das mittlerweile in der dritten Generation geführte Unternehmen seinen größten Umfang und beschäftigte 1.800 Mitarbeiter. 1959 trat Friedrich Meyer-Stork in die Geschäftsleitung ein. Infolge des Strukturwandels der deutschen Textilwirtschaft aufgrund internationaler Konkurrenz durch Länder mit geringeren Produktionskosten ergaben sich in den Folgejahren auch für die Windelsbleiche notwendige Anpassungsmaßnahmen.

 

In den 90er Jahren wurde dennoch eine neue Kläranlage gebaut und das Konzept des "Öko-Tech-Parks" entwickelt. Auf dem erschlossenen Industriestandort mit eigener Wasserver- und -entsorgung sowie einem modernen Kraftwerk erfolgte in Ergänzung zu dem kleiner gewordenen Textilbereich die Ansiedlung zahlreicher neuer Unternehmen, die von der vorhandenen günstigen Infrastruktur profitierten.

 

Die TVW Textilveredlungs- und Handelsgesellschaft Windel mbH ist heute unter der Leitung von Dr. Sebastian Meyer-Stork, dem Ururenkel des Firmengründers, ein zeitgemäßer Produktionsbetrieb für das Bleichen, Färben, Ausrüsten, Beschichten und Kaschieren etc. von bahnförmigen Textilien mit einem Jahresausstoß von ca. 15 Mio. Laufmetern. TVW zählt damit unverändert zu den großen unabhängigen Auftragsveredlern in Deutschland. Die Kunden – Flächenhersteller, Handelsunternehmen und Weiterverarbeiter – sind in erster Linie im deutschsprachigen Raum ansässig.

 

140 Mitarbeiter, davon 9 % Auszubildende, erwirtschaften so einen Umsatz von ungefähr 10 Mio. EUR, überwiegend ohne den Materialwert der bearbeiteten Ware. Das Veredlungsprogramm umfasst Web-, Maschen- und Vliesartikel aus cellulosischen (v.a. Baumwolle, Viskose, Leinen) und synthetischen (v. a. Polyester, Polyamid, Elastan) Fasern sowie deren Mischungen. Die ausgerüsteten Stoffe kommen im gesamten Spektrum textiler Anwendungen, d. h. als Oberbekleidung, Miederstoffe, Bekleidungszubehör (Einlage- und Futterstoffe), für technische Anwendungen (Beschichtungsträger, Automobilzubehör, Spezialprodukte etc.), sowie für Heim- und Haustextilien zum Einsatz. Veredlung im innovativen Sinne der Funktionalisierung von Oberflächen spielt dabei eine immer größere Rolle.

 

Die Geschichte der Firma Windel bis Ende der 1980er Jahre beschreibt Waltraud Sax-Demuth in ihrem Beitrag "Von der Leinenbleiche zur Textilausrüstung" in dem Buch "Bielefeld Senne Band 2" (Hrsg. H. Wasgindt & H. Schumacher, Westfalen-Verlag 1989, s. Scan als Download rechts mit frdl. Genehmigung des Verlags).

 

(Stand 2007)